FAZ    Besprechung von 15.02.2018

 

Sinnfindung mit Siddhartha

 

Man ahnt nichts Gutes: Ein Deutscher pilgert mit zweihundertzwanzig thailändischen Mönchen tausendfünfhundert Kilometer durch Indien und Nepal. Wieder so ein westöstlicher Selbstfindungstrip? Gott oder Krishna sei Dank, ist dieses Buch anders. Von Befindlichkeitsinnereien nimmt Misha G. Schoeneberg Abstand, wenn er schreibt: "Die Mönche schauen nach innen, ich schau mich um."

 

Der Berliner gehörte in den achtziger Jahren zur Musikkommune Ton Steine Scherben, textete für seinen Lebensgefährten Rio Reiser, ist Autor, Wissenschaftler und Sprachlehrer für Thai und galt in den Neunzigern als verschollen in Asien. Was er nun auf der Reise durch Indien sieht, erfüllt ihn mit Entsetzen. Mit Furor und Verzweiflung schreibt er über das Elend, über den Müll und die Menschen, die am Wegesrand im Müll leben. Kalkutta sei die "Katastrophe der Menscheit. Und ihre Schande. Oh Caspar David Friedrich, steh auf und male das! Da ist keine Hoffnung, da ist das Prinzip Elend." Landschaft sei ein Wort vergangener Zeiten, resümiert er angesichts von Ölflecken, kaputten Reifen, platt gefahrener Tiere. Er hadert mit vielem, auch mit der Demut. Die orangefarbene Schlange der Mönche folgt dem Abt, der aber scheint dem Wahnsinn verfallen und führt sie an den gefährlichsten Autobahnen entlang, tagelang. Unterwegs führt Schoeneberg sehr irdische Zwiegespräche mit My Sweet Lord Krishna.

 

Man muss nicht spirituell sein, um dieses Buch zu mögen, zudem lernt man viel, der Autor erzählt zum Beispiel den Lebensweg Siddharthas neu. Er lässt aber auch die großen Fragen nicht aus. Zum Ende hin verlässt ihn die Flapsigkeit, er wird ernst, anrührend, nie peinlich. Es geht um Liebe, um Glück, um den verlorenen Lebensmittelpunkt. Und bei aller Spiritualität bleibt der Autor seinem Grundsatz treu: "Ich möchte nicht glauben, wo Wissen möglich ist."

 

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