Interview von Peer de Beer (Radiofabrik Salzburg) mit Misha G. Schoeneberg


Peer de Beer: Misha Schoeneberg, Sie haben ja einen durchaus interessanten und ungewöhnlichen Lebenslauf. Nicht nur, weil sie mit bedeutenden Künstlern, Dichtern und Musikern zusammengearbeitet haben und immer noch arbeiten – um nur ein paar davon zu nennen:  Leonard Cohen, Rio Reiser, Max Prosa, Nina Hagen und viele mehr -, sondern auch, weil sie eigentlich immer ein Leben des kreativen Aufbruchs geführt haben, ein Leben mit wenig Sicherheiten und dafür viel Abenteuer und Lebendigkeit. Aber was hat Sie dazu bewogen, nach einer schweren und gerade überstandenen Krankheit, zusammen mit 220 thailändischen Mönchen 1000 Meilen zu Fuß und quer durch Indien auf Buddhas Spuren zu laufen?

 

Misha G. Schoeneberg: Rimbaud hatte es getan. Als er es leid war, all die Sehnsucht in Hexametern zu fassen. Er ging nach Ägypten. Nun, was ich sagen will: ‚Zu Fuß durch Indien‘ – das ist eine ganz alte Idee von all uns Reisenden. Sie war immer da. Nach dem Abitur wollte ich über den Landweg nach Indien, der war aber zu (Iran, Afghanistan). Also flog ich nach Mumbai,  das noch Bombay hieß, und von dort mit einem Boot nach Goa - ahh! Doch Goa ist nicht Indien, das war etwas anderes, und das ist auch eine andere Geschichte, die in einem anderen Buch erzählt  werden soll. Nach der Auflösung von Ton Steine Scherben kam die Idee ‚Zu Fuß durch Indien‘ wieder auf, mit Kai Sichtermann [Bassist von Ton Steine Scherben] besprach ich die Sache, doch es blieb bei dem Traumbild, der Idee.

Als dann 25 Jahre später die Einladung aus Thailand kam, gerade als ich mittendrin im Projekt ‚Poem – Leonard Cohen in deutscher Sprache‘ steckte, da dachte ich: „So ist das Leben – es hat immer seinen besonderen Witz. Jetzt, da sich deine jahrzehntelange Arbeit vollendet, klopft ein anderer alter Traum an und wartet auf seine Erfüllung.“

Ich atmete tief, hatte tausend Bedenken, jedoch keine Minute Zweifel, dass ich der Einladung folgen würde.

Die überwundene Krankheit – sie hieß ‚nephrotisches Syndrom‘, ein Arzt gab mir noch ein halbes Jahr, ich bekam eine Therapie, quasi eine Begleitung zum Sterben, vielleicht war es aber nur eine Fehlprognose (Syndrom heißt es ja immer dann, wenn die Ärzte die Ursache nicht kennen) – gab mir eher zusätzliche Willenskraft. Was sollte ich fürchten? Ich lebte ja schon im ‚Freispiel-Modus‘.

 

Peer de Beer: Ist es nicht merkwürdig, dass wir Menschen immer Krisen brauchen, um zu erkennen, was wirklich wichtig ist? 

 

MGS: Nö, um das Wichtige zu erkennen, brauchte ich nie eine Krise. Eher brachte mich meine Entscheidungsklarheit für das wirklich Wichtige im Leben – immer die Liebe – oft in eine Krise.

 

Peer de Beer:  Aber die eigentliche Frage ist, was haben Sie in Indien erwartet? Hätte es nicht andere, vielleicht etwas leichtere Möglichkeiten für eine Einkehr gegeben? Einen Aufenthalt in einem Ashram beispielsweise mit zumindest einem Minimalstandard, was Unterbringung, Catering und sanitäre Einrichtungen und vielleicht einen ayurvedischen Arzt angeht?

 

MGS: Dass die Wanderung kein Spaziergang werden würde, das war mir klar. Andere Möglichkeiten gab und gibt es, doch ich bin kein Typ für einen Ashram. Vor Jahrzehnten kokettierte ich einmal damit, nach Poona zu gehen. Ich hatte die Bhagwan-Jünger (später Osho) Ende der 70er auf Ibiza kennengelernt, sie wollten mir gleich die Mala umhängen, doch ich gab ihnen die Antwort, die Hesses Siddhartha gegeben hatte: Ich schätze euren Meister, doch muss ich meinen eigenen Weg finden. 2009 hatte ich dann doch vor, mit Aod Chumpon, meinem Freund, für einige Zeit in ein thailändisches Kloster zu gehen, doch dann lag meine 97jährige Tante im Sterben. Das wollte sie zuhause tun. Wir, Chumpon und ich, blieben hier und pflegten sie neun Monate lang. Das war sinnvoller und eine große Zeit für sie und uns. Chumpon (ja, der Champ im Buch – so viel sei verraten) wurde dann später für ein halbes Jahr Wandermönch in Thailand. Der große Mönch Wimon (so nenne ich ihn im Buch) wurde sein Abt. Über ihn, den großen Mönch Wimon, lief die Einladung, von ihm wurde ich in die Gemeinschaft aufgenommen. Es war eine große Ehre für mich. ‚Zur Ehre des Königs, für den inneren Frieden und die Harmonie der Welt‘ stand auf der Einladung, wer wollte da Nein sagen? Und eine ‚Auszeit‘ ist es für andere vielleicht, für mich war es real time. Ein weiterer Traum, den ich erfüllen musste. Wie eine alte Pflicht, in der ich stand.

 

Peer de Beer:  Stimmt wohl - manche Träume können hartnäckig sein, wenn sie eine Aufforderung, eine Botschaft oder eine Wahrheit für die Träumenden in sich tragen. Haben Sie sich nicht gefragt, wohin es Sie führen könnte, wenn Sie diesem Ruf einfach folgen würden?

 

MGS: Wohin die Reise führt, erst einmal geografisch gesehen, das war ja  klar: nach Indien! Doch Indien ist groß. Nun habe ich ach … in den 90zigern ja auch studiert, vier Studiengänge - und abgeschlossen! Unter anderem neben Südostasienwissenschaften (Schwerpunkt Moderne Sozialgeschichte Thailands) eben auch Internationale Beziehungen in Asien und Afrika. Professor Weidemann war der Experte für Indien, insofern kam ich ja nicht nur von den Traumpfaden, sondern auch vom Wissen her. Ich habe mich zusätzlich gut vorbereitet, denn jede Region Indiens ist sehr anders. Also wusste ich eine Menge, auch über Bihar, wo alle auch noch so coolen Traveler nie hingingen und es abraten zu tun, die haben natürlich recht. Obwohl ich dort in Bihar ganz herausragende Begegnungen hatte. Indien ist eben so viel mehr als nur ein Land, Indien ist immer eine Herausforderung auf allen Ebenen des Daseins.

 

Peer de Beer: Irgendwie ist es ja, wenn man ihr Buch liest, wie wenn Sie sich mit dem Land und den Menschen auch auf eine ganz besondere Art verbunden haben, indem Sie es Schritt für Schritt durchquerten. War es das, was sie gereizt hat?

 

MGS:  "Nur, wo du zu Fuß warst, warst du wirklich gewesen", sagt Goethe. Natürlich hat er recht.  Die Verbundenheit mit Thailand, ich spreche auch die Sprache, hat ja zu der Einladung geführt. Die Verbundenheit zu Indien ist anders, eher tiefverwurzelter in der Menschheitsgeschichte, Indien ist eine der großen Wiegen aller Kulturen. So war der Marsch nicht nur eine Pilgertour zu den heiligen Stätten des Buddhismus, sondern auch zu den Wurzeln aller Religionen sowie immer zu einem selbst.

  

Peer de Beer: Hatten Sie denn tatsächlich eine bestimmte Aufgabe im Sinn, als Sie die Reise antraten? Oder war es das besondere Wiedersehen mit Freunden einer liebgewordenen Kultur, den Thais, denen sie ja in einem anderen Buch ('Geister der gelben Blätter') bereits eine legendäre literarische Liebeserklärung geschrieben haben?

 

MGS: Eine Aufgabe im Sinn? Nein, ich unterwarf mich im Vorfeld der Reise einer der schwierigsten Aufgaben eines buddhistischen Novizen: „Habe keinerlei Erwartung. Siehe, was ist. Schau, was passiert.“ Ja, Thailand kenne ich seit dreieinhalb Jahrzehnten und liebe es trotz der enormen Veränderungen, dem das Land seitdem unterworfen ist. Da bin ich treu. Obwohl ich mich sehr wundere, dass es immer noch Menschen gibt, die heutzutage nach ihrer ersten Thailand-Reise völlig begeistert von dem Land schwärmen. Das liegt sicher an den Menschen. Und dass die Menschen so sind, das hat seine Ursachen. Sehr viele, die man benennen kann. Eine davon ist der Buddhismus (95 Prozent der Thai bekennen sich dazu) und zwar in seiner sehr relaxten, undogmatischen Form; eine andere ist, dass dieses Land niemals direkt kolonialisiert war. Das sieht in Indien völlig anders aus, und das bekommt man sofort zu spüren.

 

Peer de Beer: Das koloniale Erbe klingt ja in dem Buch auch an, wenn Sie über ihre Begegnung mit den Aufständischen in Bihar in einer Hecke am Straßenrand und den schwerbewaffneten Straßensperren der Armee, die nicht weit davon standen, erzählen.

Spätestens da mag sich der eine oder andere fragen, und ich frage Sie, ob sie eine wundervoll gesponnene, aber fiktionale Geschichte erzählen, oder ob dieses wundersam ineinander versponnene Erleben paralleler Realitäten Ausdruck von dem ist, was in Indien sich trotz der Kolonisation bis heute bewahrt hat, was sozusagen die Seele des Landes ausmacht und in jedem Inder bis heute lebendig ist?

 

MGS: Siddhartha Highway ist im klassischen Sinn eine Reiseerzählung. Karl May nannte seine Bücher so. Und wer will, darf auch in Siddhartha Highway etwas Winnetou entdecken. Der Unterschied zu Karl May und mir ist jedoch, dass ich im Guten wie im Schlechten meine Geschichten wirklich so erlebt habe. Siddhartha Highway ist ein aus meinen Tagebuch-Aufzeichnungen verdichteter Reiseroman. Obwohl, Roman soll ich nicht sagen, sagt mein Verleger, er hat ja recht, aber eine Reportage ist es auch nicht, es spiegelt nicht nur die Außenwelt, sondern auch meine Innenwelt.

Zum Wahrheitsgehalt: Natürlich stehe ich im permanenten Dialog mit My Sweet Lord Krishna, selbstverständlich war die Buddha-Geschichte so wie ich sie erzähle und nicht anders, und den Siddhartha Highway gibt es wirklich, er liegt oben in Nepal an der Grenze zu Indien. Doch im Ernst, gerade die Begegnungen in Bihar, die ich innerhalb eines halben Tages machte, glaubt mir kaum einer. Das dachte ich mir aber schon, als ich sie erlebte: „Das glaubt dir im Club wieder keiner!“ Wäre ich mit Lorca und seinem Knaben – sie waren jung, schön und im absoluten Recht – mitgezogen, wäre ich wahrscheinlich wirklich ein romantischer Held, bloß eben tot. Und keiner hätte von uns berichtet. Und das Cobra-Bataillon ist ebenso bittere Realität, nun ja, für mich waren sie eher eine Comedy-Einlage. „Ach, die nun auch noch, war ja klar“,  dachte ich mir, als sie mich an der Straßensperre aufhielten. Und nein, ich hatte keinerlei Angst, ich war wie in einem Film. Volle Adrenalin-Ausschüttung. Das ist ein rauschhafter Zustand. Natürlich hätten die mich erschießen können und keinen hätte es geschert. Doch sie taten es nicht, und warum hätten sie es tun sollen? Sie hielten mich eher für einen Verrückten als für einen Spion oder Widerstandskämpfer. Das ist ja mein Trick, die Leute unterschätzen mich. Das hat mir schon oft das Leben oder wenigstens die Freiheit gerettet. Das sind aber andere Geschichten. Und was das Verrücktsein betrifft, da halte ich es mit Salvadore Dali, der sagte mal: „Der Unterschied zwischen mir und einem Verrückten ist: Ich bin nicht verrückt.“

Natürlich sind einige Episoden pointiert dargestellt, andere wurden jedoch auf ein für die Leser erträgliches Maß reduziert. Witzig ist, dass es bisher nur einem aufgefallen ist, dass der alte Hippie, den ich in Bodhgaya traf, wie Alan Ginsberg spricht. Klar, hat er nicht das Original-Howl zitiert, doch der lustige Kerl sah aus und sprach wie Ginsberg. Und würde ich an Geister oder Wiedergeburten glauben, würde ich schwören, er war’s. Nein, der Typ war halt nur so. Sie gibt es, sie leben unter uns. Immer noch, und das ist gut so. Ach ja, die Geschichte, wo der Hund von Mahaviro an mir hochspringt und mich küsst, die ist natürlich übertrieben, er berührte nur meine Nase.

 

Der zweite Teil ihrer Frage ist nicht mit flachsigem Humor zu beantworten. Bihar ist eine der ärmsten Regionen unseres Planeten. Das ist nicht nur eine Folge des Kolonialismus. Es ist schlimmer geworden seitdem. In gewisser Weise war der Kolonialismus nicht so verlogen wie die Skrupellosigkeit der Postmoderne. Aus indischer Sicht war die historische Phase British Empire klarer: Da kommt der fremde weiße Mann, er ist der Feind. Er ist uns militärisch überlegen und leitet daraus sein Recht ab, uns auszubeuten, zu vergewaltigen, zu unterdrücken und zu töten, wie immer es ihm beliebt.

Nun, die Briten sind heute noch verhasst in Indien. Und da das Ende des II. Weltkriegs das Ende des Kolonialismus in seiner damaligen Form einleitete, stehen Hitler und in böser Gleichsetzung die Deutschen hoch im Kurs in Indien.  Doch gern wird vergessen, dass auf diesem Prinzip der kaltblütigen Skrupellosigkeit reitend, nicht nur die weißen Europäer in Indien einfielen, sondern lange vor ihnen die Türken (bei denen war es aber nicht cold english blood, sondern rauschhafter religiöser Wahn und Mordlust. Hat sich also nicht viel geändert seitdem). Später kamen die Mongolen. Und immer paktierten die Eroberer mit der sogenannten indischen Elite, dieser durch und durch korrupten Klasse oder Kaste. Upps, ich mache mir wohl gerade keine Freunde, vielleicht ist das besser zu streichen?

 

Peer de Beer: Als ich Ihr Buch zum ersten Mal in der Hand hielt, habe ich mich gefragt, ob auch Sie einfach 'nur mal weg' sein wollten, ein bisschen exotischer vielleicht als auf einem der modernen Wanderpfade der Selbstbesinnung wie dem Jakobsweg. Nach dem Lesen der ersten Seiten aber war mir bereits klar, dass es Ihnen bei aller Leichtigkeit wohl um mehr geht. Das Buch will sicher auch kein Reiseführer für andere sein, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Sie wollen es selbst wissen und lassen sich ganz und ohne Rückhalt auf Ihre Erfahrungen ein.

Ich weiß daher nicht, ob sich diese Frage überhaupt beantworten lässt, und ob es irgendeinen Sinn macht, sie zu stellen: Nach was sind Sie auf der Suche? Und doch ist sie während des Lesens immer wieder aufgetaucht – merkwürdigerweise in Bezug zu mir selbst. Ist das nicht seltsam?

 

MGS: Sie fragen und geben viel Antwort schon selbst. Seltsam? Nein! Es geht doch nicht mehr und nicht weniger als um den Gott der Sikh: die Wahrheit. So nennen sie ihn/sie, er ist transgender oder intersexuell. Doch wenn ich „Wanderpfade der Selbstbesinnung“ höre, muss ich an mich halten und erst einmal einen kurzen Dialog mit My Sweet Lord Krishna führen, vielleicht darf ich oder muss ich Sie ja töten. Okay, Sie haben Glück, er rät zu Atemübungen. Wenn es also ein „Wanderpfad der Selbstbesinnung“ war, als die Deutschen nach dem Kriege durch die KZs geführt wurden, ja dann wünsche ich jedem und jeder diesen „Wanderpfad der Selbstbesinnung“ durch Kalkutta. Und die, die dann nach diesem „Look what you’ve done!“ immer noch nicht begreifen wollen, sind aussetzen in Bihar und zwar alleine und nur mit einer halben Flasche Wasser!

 

Peer de Beer: Das Motto der Einladung lautete ja ‚Zur Ehre des Königs, für den inneren Frieden und die Harmonie der Welt‘ zu Fuß auf Buddhas Spuren durch eine der ärmsten und aus 'westlicher' Sicht sicher trostlosesten Gegenden der Welt zu laufen, und wie es sich herausgestellt hat, hieß das für Sie und die mitwandernden Mönche, sich ihr völlig ungeschützt auszusetzen, mit all ihrer Unmenschlichkeit, Gnadenlosigkeit und dem nackten Kampf ums Überleben ungeschminkt ins Gesicht zu schauen. Und doch leuchtet in ihrem Reisebericht bei aller schonungsloser Nüchternheit in der Beschreibung immer wieder eine berührende Schönheit auf, und das an Orten, wo man es als Leser am wenigsten erwarten würde. Ich denke da an das Kind auf der Müllkippe, na ihre Hilflosigkeit und Wut, und was dieses Kind dann mit seinem Lächeln – es muss ein ganz besonderes gewesen sein – bei Ihnen ausgelöst hat.

Haben Sie diese Momente, und davon gibt es ja einige in ihrem Bericht, als Trost empfunden? Was waren das für Momente? War das der Sinn der Reise?

 

MGS: Das haben sie sehr schön gefragt. Doch Trost? Nein, das war etwas anderes. Etwas ganz anderes. Trost erfuhr ich in Kathmandu: umarmt umarmend, das ist Trost. Leider können wir nirgendwo lange bleiben, wir sind immer nur auf der Durchreise. Und so sollte die letzte Frage genauer lauten: Was ist der Sinn unseres Reisens? Darin liegt die Antwort.

 

Peer de Beer: Da Krishna mich hat weiter leben lassen, und Sie Ihre Atmung im Griff haben, im Moment jedenfalls: darf ich noch einmal auf die 'Wanderpfade der Selbstbesinnung' zurück kommen?

Die meisten Menschen, die ich kenne, suchen, um in sich Frieden zu finden, Abstand von dem, was sie beunruhigt, und gehen dorthin, wo Wellen branden oder Stille und Weite zum Abschalten einladen. So sehe ich auch Menschen, die den Jakobsweg gehen. Sie suchen sich eine Umgebung, in der sie sich und ihr Leben aus einer höheren Warte betrachten können, versuchen dadurch wieder mehr in ein inneres Gleichgewicht zu kommen, und diese erweiterte Perspektive dann in ihr 'normales' Leben mit zurück zu nehmen.

Sie dagegen sind, Mönche in orangen Roben hin oder her, dahin gegangen, wo es Ihnen richtig weh tut, dorthin, wo Zerrissenheit, Menschenverachtung, Umweltzerstörung und brutale Ungleichheit überall sichtbar sind und auf die Wehrlosesten treffen. Und Sie wussten, was Sie tun. Sehe ich das falsch?

Und doch klingt für mich in ihrem Bericht immer wieder so etwas wie Heilung an – und Liebe. So sprachen Sie auch von einem 'Auftrag'. Das ist vielleicht zu flach, aber war ihre Haltung, mit der Sie auf dem ganzen Weg gerungen haben, möglicherweise dieser Auftrag? 

 

MGS: An der Jakobsweg-Beschreibung des Kollegen Kerkeling finde ich am beeindruckendsten die Verkaufszahlen. Die wünscht man sich. Insofern möchte ich niemanden ausschließen. Vielmehr sind alle, die im Branden der Wellen die Stille zum Abschalten suchen, herzlich eingeladen, das Buch zu lesen. Auch alle Yoga-Schülerinnen, die  ihrem Meister viel Geld geben, sollten sich unbedingt das Buch Siddhartha Highway kaufen. Sie werden nicht enttäuscht werden. Auch wird in meiner Erzählung niemand schlecht dargestellt. Nun ja, die Tuk-Tuk-Fahrer in Delhi, die fand ich nicht überzeugend. Denn selbst für den führenden Abt fordere ich Erbarmen und Mitgefühl. Er hat es schwer nötig.  Und ja, im Buch Siddhartha Highway geht es auch um den Buddhismus, zu seinen Wurzeln führt ja der Buddha Walk. Und noch ein Ja: auf knapp 20 Seiten des rund 360 Seiten starken Buches erzähle ich die Geschichte Siddharthas, des späteren Buddhas.  Doch ich erzähle sie ohne Schnörkel und all dem Wunderzauber.  Auch wird die Lehre  Buddhas ohne die von halbseidenen Meistern gern verwendeten Geschwurbel-Begriffe wiedergegeben. Wir brauchen diese alt-indischen Worthülsen nicht, das sind nur Macht-Instrumente derer, die ihr bisschen Wissen nutzen, in ihrer Unsicherheit Überlegenheit auszuspielen. Wir brauchen aber Klarheit und deshalb eine gute Darstellung Buddhas zu bewundernder Denkweise und Einsichten in das Dasein. Auf den Punkt gebracht lautet seine Lehre: Empirie und Empathie.  Empirie, das ist die Grundlage jeder Wissenschaftlichkeit, die Anschauende Erkenntnis (ein wichtiger Begriff der Aufklärung), die nicht auf abstrakten Regeln einer theoretischen Behauptung (also Dogmen) beruht, sondern auf Fakten, die aus der Erfahrung und der Betrachtung der Wirklichkeit, so wie sie ist, gewonnen werden. Und Empathie lässt sich am schönsten mit Mitgefühl (nicht Mitleid) übersetzen.  

Vor der Reise wusste ich nur, dass ich sie machen werde. Während der Reise des Laufens hatte ich erhebliche Zweifel, auch Zusammenbrüche, ebenso war mir nicht immer klar, was ich tat oder tun sollte. Erst zum Ende hin erhellte es sich und ja, es wurde sehr klar. With a little help of my friends und des Gesang meines süßen Gotts Krishna. Als ich im Anschluss daran auf die Reise des Schreibens ging, da wusste ich jedoch sehr genau, was ich zu tun habe. Ich hatte ein klar strukturiertes Konzept. Und ich wundere mich selbst, dass mir das gelang, es umzusetzen. Dort stand schon auf der letzten Seite, wie jetzt im Buch, eines der letzten Worte Buddhas, das er seinen Jüngern gab, bevor er starb: "Behindert euch nicht selbst durch Verehrung meiner Reliquien. Wenn ihr es aber wollt, so geht auf Pilgerschaft zu den wichtigsten Stationen meines Lebens. Laufen ist eine gute Medizin. Und den Kopf macht es klar. Dann denkt über meine Worte nach!“

 

Peer de Beer: Daran schließt sich eine weitere Frage an: nämlich die nach dem Schreiben an sich. Es ist ja nicht Ihr erstes Buch. Ist das Schreiben eines Buches ein Teil der Erfahrung, ein Teil des Erlebens, ja vielleicht sogar ein wesentliches Element für Sie?

 

MGS: Ja, kurze, klare Antwort: Ja, Schreiben ist ein Teil des Nacherlebens, des Vergegenwärtigens (zu dem man im Zustand des Gerade-Erlebens weder Zeit noch Ruhe hat, da muss man sich eher um das Überleben kümmern). Und Schreiben ist immer Dichtung, also hier Verdichtung, sie berührt das Wesentliche und hat die himmlischen Kräfte als Adressaten.

 

Peer de Beer: Und wer sind unter uns Menschen die Adressaten Ihres Buchs?

 

MGS:  Alle, die gern gute, spannende Bücher lesen. Jung und alt. Es ist für alle, die gern auf Reisen gehen, selbst wenn sie daheim bleiben. Es ist für alle, die etwas über Indien, das Land und seine Leute, erfahren möchten sowie für alle, die sich für Buddha, sein Leben und seine Lehre interessieren. Und selbst für die, die an dem Buddhismus und Indien kein allzu großes Interesse haben, ist Siddhartha Highway eine Reise zu sich selbst, die man miterleben darf.  Nicht zu vergessen sind alle, die sich für die Wurzeln nicht nur der thailändischen sondern auch unserer Kultur interessieren.